Spiritualität
Im Augenblick halte ich den Begriff "Innerlichkeit" für die beste, weil umfassendste Beschreibung von Spiritualität. Alles, was wir wahrnehmen können als ein äußeres Objekt, verfügt auch über Innerlichkeit oder ein inhärentes Bewusstsein, ist in diesem Sinn also spirituell.
Wir wissen als Menschen, dass wir über ein Bewusstsein verfügen, denn wir wissen um unser Sein, können unterscheiden, ob es uns gut oder schlecht geht, ob wir wach sind, träumen oder schlafen, was wir denken und fühlen, ob wir uns lebendig und vital oder kraftlos fühlen. Aber wir sind nicht gewohnt, Bewusstsein auch der uns umgebenden Natur zuzugestehen. Doch wenn wir den Weisheitslehren folgen, kommen wir nicht umhin, die wahrnehmbare Welt als Ausdruck des Göttlichen Bewusstseins anzusehen. Der eine Gott (das eine Bewusstsein, die Leere) wird zum gesamten Universum.
David Chalmers schreibt in einem Artikel im Journal of Consciousness Studies, 1997:
„Man wird zu dem Schluss genötigt, dass man keine reduktionistische Erklärung des Bewusstseins geben kann“. Das bedeutet, dass Bewusstsein (oder Erfahrung, oder Protoerfahrung, oder, wie ich technisch sage, Innerlichkeit [Interiority]) eine intrinsische, gegebene Komponente des Kosmos ist, und sie nicht vollständig abgeleitet werden kann von oder reduziert werden kann auf etwas Anderes. (David Chalmers, Ken Wilber, Integral Psychology)
Spiritualität bedeutet in diesem Sinne als Erstes die Anerkennung dieser innerlichen Bewusstseinsdimension des Seienden.
Unsere eigene Bewusstseinsdimension erschließt sich uns unmittelbar im direkten Erleben. Wir haben ein spontanes Bewusstsein von unserer Existenz und von den wechselnden Zuständen unseres Inneren.
Die Innerlichkeit unserer Umgebung erschließt sich durch Mitgefühl oder entsprechende andere Techniken. Wir haben die Fähigkeit, uns in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, aber auch das Bewusstsein von Tieren, Pflanzen und selbst von "unbelebter" Mineralien unmittelbar zu erfahren. Wenn wir diese Fähigkeit der Wahrnehmung der Innenwelt unserer Umgebung nicht (mehr) besitzen, können wir uns den Zugang zu dem kollektiven Bewusstsein und dem kollektiven Unbewussten erschließen, z. B. durch transpersonale Atemarbeit oder homöopathische Arzneimittelprüfungen, die die Illusion unserer Getrenntheit wieder aufheben.
Spirituelle Wege
Letztlich ist das Ziel eines spirituellen Weges, zu der ursprünglichen Einheit des Bewusstseins zu gelangen. Die Stadien, die wir dabei durchschreiten, folgen einem universalen Schema. Einige Stadien der Bewusstseinsentwicklung legt die Mehrheit aller Menschen während der Kindheitsentwicklung und Entwicklung als Erwachsener zurück, andere Stadien können sich spontan bei manchen Menschen entfalten oder bedürfen einer Schulung und eines Übungsweges, um sie zu erreichen. Solche Übungswege werden als spirituelle Wege bezeichnet. Es werden darunter Anleitungen und Übungen verstanden, die zu der Entfaltung und Entwicklung des Inneren eines Menschen beitragen, wodurch es im Laufe der Zeit immer mehr zu einer Desidentifikation mit der körperlichen Existenz, den wechselnden Gefühlen und Gedanken, den Träumen und selbst der Leere des tiefen Schlafes kommt. Es bleibt die Identität mit dem bewussten Sein an sich, das in allem Seienden gegenwärtig ist. Diese Identität ist nicht etwas, das erst erlangt werden müsste, sondern sie ist unser spontaner Zustand, gleichgültig, was wir erleben, denn jeder besondere Bewusstseinszustand ist nur eine Modifikation dieses spontanen Seinsbewusstseins. Worum es geht, ist das Loslassen aller Identifikationen, die eine Einschränkung dieses Zustandes bedeuten.
Der Unterschied zwischen einem authentischen Spirituellen Weg und einer äußerlichen Religionszugehörigkeit ist der, dass ein spiritueller Weg für die inneren Erfahrungen bereitmacht, während es bei Religionen oft mehr um äußere Formen und soziale Zugehörigkeit geht. Damit möchte ich nicht den Religionen ihre Spiritualität absprechen, sondern darauf hinweisen, dass ich diese beiden Begriffe nicht synonym verwende und dass die spirituellen Wege, die in den Religionen zu finden sind, spezielle (mystische) Zweige dieser Religionen darstellen. Da echte spirituelle Wege um die Einheit des Bewusstseins wissen, schließen sie nicht aus, sondern sind überkonfessionell und allgemein menschlich. Sie stehen jedem Suchenden offen, der sich auf einen bestimmten Übungsweg einlassen möchte. Und sie verlangen nicht die Konversion von einer Religion zu einer anderen, sondern sie eröffnen ein tieferes Verständnis für die Bedeutung jeder Religion. Am Gipfel treffen sich alle Wege.
Es gibt in den Weltreligionen jeweils mystische Zweige, die auf den direkten Erfahrungen der Personen beruhen, die diese Wege der inneren Entwicklung gegangen sind, und deren Zeugnisse die sogenannte Philosophia perennis, die ewige Pholosophie, darstellen. In einer lebendigen spirituellen Tradition ist dieses ewige Wissen ein lebendiges Wissen, das den Schülern nicht nur theoretisch, sondern auch in der Erfahrungsqualität vermittelt wird. Damit wird das, was in den Schriften steht, unmittelbar erfahrbar, wenn sich der Schüler auf einen bestimmten Übungsweg einlässt. Dieses Einlassen bedeutet einerseits die persönliche Anstrengung, die die regelmäßigen Übungen erfordern, andererseits das sich Öffnen für die Gnade, die uns Schritt für Schritt an die höchsten Wahrheiten heranführt. Beides ist wie die beiden Flügel eines Vogels, ohne die er nicht fliegen kann.
Der integrale Ansatz
betont, dass eine gesunde spirituelle Entwicklung auf einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung aufbaut oder mit dieser parallel geht. Neben dem Übungsweg ist es notwendig, auftauchende persönliche Probleme oder gesundheitliche Schwierigkeiten mit den entsprechenden Methoden der Psychotherapie und Medizin zu behandeln. Die Entwicklung der Spiritualität ist kein Ersatz für ein gesundes in der Welt Stehen, es bedeutet nur, dass die Bedürfnisse des Körpers und der Seele nicht isoliert und als Selbstzweck gesehen werden, sondern in dem größeren geistigen Zusammenhang liebevoll wahrgenommen werden. Es geht nicht um Unterdrückung, sondern um Integration des vitalen, emotionalen, denkenden und wollenden Körpers. Dazu bedarf es einer entsprechenden Unterstützung auf genau den Ebenen, die einer Unterstützung bedürfen. (siehe auch: Therapieangebot)
Spirituelle Richtungen
In welche spirituelle Richtung man gefunden wird (Walch), hängt von vielen persönlichen und schicksalsmäßigen Faktoren ab. Man kann deshalb niemandem von außen empfehlen, eine bestimmte Richtung anzustreben oder nicht. Hier kann man nur auf die innere Führung verweisen. Es ist die innere Sehnsucht, die einen selbst zu ihrem Ursprung zurückführt. "Der, den du suchst, ist der, der sucht", heißt es in den Schriften.
Ramana Maharshi sagt zur spirituellen Suche, in "Gespräche des Weisen vom Berge Arunachala":
Wird Gott angebetet, dann gewährt Er Beständigkeit in der Hingabe, die schließlich zur Übergabe wird. Dem, der sich Ihm übergibt, erweist Gott die Gnade, sich ihm als Guru zu nahen. Der Guru, Gott, leitet den Hingebungsvollen, sagt ihm, dass Gott in ihm wohnt, und Er das Selbst ist. Das führt zur Wendung des Geistes nach innen und schließlich zur Verwirklichung. Das eigene Bemühen ist dabei unerlässlich bis zur Verwirklichung. Das Selbst sollte sich unwillkürlich offenbaren, sonst ist das Glück nicht vollkommen. Ein Bemühen in der einen oder anderen Form muss also beibehalten werden, bis dieser Zustand der völlig ungezwungenen Verwirklichung des Selbst erreicht ist.
Mein eigener spiritueller Hintergrund
Mein persönlicher spiritueller Hintergrund ist einerseits das Christentum, in dessen Geist ich aufgewachsen bin und das seine Gültigkeit in verwandelter Form für mich behalten hat (vgl.: Ökumene im Inneren), und andererseits seit 1992 das Siddha Yoga (vgl.: Mein Weg im Siddha Yoga), eine spirituelle Richtung, die hauptsächlich auf den östlichen Traditionen des Vedanta und Kashmir Shaivismus beruht (siehe auch: Pratyabhijnarhdayam). Weitere Informationen dazu gebe ich Ihnen gerne auf Anfrage (r.lasser@aon.at)
Der Arbeitskreis für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie bietet Seminare an, die man als "Propädeutikum für einen spirituellen Weg" (Walch) sehen kann. Die Seminare sind am Übergang zwischen Psychotherapie und Spiritualität angesiedelt und es sind tiefe transformierende Erfahrungen auf beiden Gebieten möglich, ohne sich noch für einen spirituellen Weg entscheiden zu müssen. (siehe http://www.transpersonal.at ) Sie finden auf dieser Homepage auch Texte zu verschiedenen spirituellen Traditionen, Brücken zu heutigem Wissen sowie Erfahrungsberichte. Außerdem ist das aktuelle Seminarangebot der eingetragenen transpersonalen Therapeuten dort nachzulesen.