Holarchien

Wir sehen in der gesamten Natur, dass etwas Ganzes aus Teilen zusammengesetzt ist, die wieder Ganze sind. Es ist z. B. der Körper eines Menschen aus Teilen zusammengesetzt, den Organen. Die Organe sind Ganzheiten, die wieder aus Teilen zusammengesetzt sind, den Zellen. Die Zellen sind Ganzheiten, die aus Organellen zusammengesetzt sind die Organellen aus Molekülen, die Moleküle aus Atomen, die Atome aus subatomaren Teilchen. Auch nach oben lässt sich diese Reihe fortsetzen, z. B. in den unteren Quadranten, den "Wir" und "Es-Mehrzahl"-Quadranten: Menschen bilden Familien, Familien Sippen, Sippen Völker, Völker Staaten, Staaten Staatenbünde (z. B. USA, EU, die frühere USSR...), welche eine Weltgemeinschaft bilden.

Wenn wir davon ausgehen, dass diese äußerlich wahrnehmbaren Ganzheiten (Holons) auch jeweils eine Innenseite haben, eine Erfahrungs-, oder Bewusstseinsseite, die sowohl in der Einzahl wie in der Mehrzahl vorhanden ist, so können wir feststellen, dass auch die Bewusstseinsinhalte der einen Stufe sich zu einem Gesamtbewusstsein der nächsthöheren Stufe integrieren. Das würde heißen, dass sich das Bewusstsein der Leber mit dem Bewusstsein des Herzens und dem Bewusstsein der Lunge und dem Bewusstsein der übrigen Organe zu einem Bewusstsein des gesamten Menschen integrieren. Dies mag auf den ersten Blick fremdartig erscheinen, doch ist es genau das, was die traditionelle chinesische Energie lehrt: Im System der Traditionellen Chinesischen Medizin wird jedem Organ eine bestimmte Bewusstseinsqualität zugeordnet, die uns großteils auch noch in der Weisheit unserer Sprache geläufig ist:

Wir sehen bereits an diesen Beispielen, dass sich im Gesamtsystem des Menschen sowohl von außen betrachtete Organe zu einer Ganzheit integrieren wie auch von innen betrachtet Bewusstseinsinhalte oder Gemütszustände. Auf der Ebene der Organe ist uns die Innenseite noch relativ klar zugänglich. Was genau mit zellularem Bewusstsein, molekularem Bewusstsein, atomarem und subatomarem Bewusstsein gemeint ist, könne wir wohl nur erahnen.

Leichter ist es da schon mit den dem menschlichen Idividuum übergeordneten Bewusstseinsebenen. Z. B. lassen sich Bewusstseinsinhalte von Familien relativ gut durch Aufstellungsarbeit erschließen und veranschaulichen. In der anthroposophischen Literatur gibt es auch Beschreibungen des Bewusstseins von Volksseelen, Zeitgeistern und anderen übergeordneten Bewusstseinsholons, die in der christlichen und anderen spirituellen Traditionen als Engel, Erzengel etc. beschrieben werden.

Die Integration von Teilen zu einem Ganzen erfolgt dadurch, dass die Teile sich addieren und eine neue Ebene, die in der Lage ist, diese Teile zu integrieren, dazukommt. Die Teile werden in dem neuen Ganzen in zweierlei Hinsicht aufgehoben: einerseits im Sinne von bewahrt, sie gehen nicht verloren, andererseits im Sinne von transzendiert: Es gibt eine neue, emergente Instanz, die die Teile zu einer Ganzheit integriert. Die Teile geben dabei Autonomie an die nächsthöhere Struktur ab und bekommen dafür einen definierten Platz in einem größeren Ganzen, sie ordnen sich ein. Wir können diesen Prozess derzeit hautnah beim Übergang von Nationalstaaten in die Europäische Union beobachten, mit allen seinen Fort- und Rückschritten. Die holarchische Relation zwischen Teil und Ganzem finden wir aber auf allen Ebenen, den ganzen Weg hinunter und den ganzen Weg hinauf von den subatomaren Teilchen bis zu den Sonnensystemen und Galaxien. Es gibt konkrete Übelegungen dazu, wie die Koordination des Verhaltens von untergeordneten Teilen einer Holarchie erfolgt. Ich werde weiter unten auf diese sogenannte Generalisierte Quantentheorie eingehen.

Manchmal stellt sich die Frage, welche Ebene höher und welche Ebene niedriger ist in einer holarchischen Struktur. Hier gibt es eine einfache Regel: Wenn wir eine Ebene zerstören, zerstören wir damit alle übergeordneten Ebenen, nicht aber die darunter liegenden. Stellen wir uns vor, wir zerstören alle Zellen. Es würden damit alle lebendigen Wesen vernichtet, die Pflanzen, Tiere und Menschen, nicht jedoch die Moleküle, Atome und subatomaren Teile. Wir sehen, dass letztere niedriger, erstere höher in der Holarchie stehen. Es ist aber auch klar, dass bestimmte Leistungen, in diesem Beispiel die Bildung bestimmter, komplexer Moleküle, nur von intakten Ganzen, also hier den intakten Zellen erbracht werden können. Andere, einfachere Moleküle und damit die Ebene der Moleküle als solcher, werden jedoch erhalten bleiben.

Durch diese holarchische Organisation des Universums ist auf jeder Ebene sowohl bewusstseinsmäßig im Inneren wie auch im Äußeren die gesamte aufsteigende Kette der Holarchie integriert und fügt sich zu einem geordneten Ganzen. Jede Ebene ist eine Integration aller darunterliegenden Wellen und ein Teil der übergeordneten Wellen.

Bei krankhaften Entwicklungen kann es zu einer mangelnden Differenzierung der Teile, die jeweils verschiedene Aufgaben zu erfüllen haben, oder aber auch zu einer mangelnden Integration in das Gesamtsystem kommen. Als Beispiel sei hier nur die Krebserkrankung genannt, bei der es sowohl zu einer Entdifferenzierung organischer Zellen wie auch zu einer Desintegration aus dem organischen Verband kommt. Es ist davon auszugehen, dass parallel dazu auch gleichnamige psychische, innerliche Prozesse abspielen, wie sich auch in der psychotherapeutischen Arbeit mit Krebskranken oft zeigen lässt.

Das „harte Problem“ (in der Beschreibung Ken Wilbers)

Dieses Modell hat auch – oder sagt, dass es hat – eine Antwort auf das „harte Problem“ des Bewusstseins, weil es auch tranpersonale Wellen (Stufen) und besonders die nonduale mit einschließt. (Das Problem, wie wir subjektive Erfahrung von der behaupteten objektiven, materiellen, nichterfahrenden Welt bekommen können)

Die Weisheitstraditionen machen in der Regel eine Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Wahrheit. Ein integrales Modell legt uns nahe, dass wir von der relativen Seite her annehmen, dass alle Holons vier Quadranten haben, jeweils mit einem Inneren und einem Äußeren, und dass deshalb „subjektive Erfahrung“ und „objektive Materie/Energie“ ganz vom Anfang an gemeinsam erscheinen. Von der absoluten Perspektive aus (Nonduales Bewusstsein) legt uns ein integrales Modell nahe, dass wir die endgültige Antwort auf dieses Problem erst mit Satori (Erleuchtung) wirklich erkennen werden, dem persönlichen Erwachen zum Nondualen s(S)elbst. Der Grund, warum das harte Problem hart bleibt ist der gleiche Grund, warum absolute Wahrheit nicht mit relativen Worten gesagt werden kann. Das Nonduale kann nur durch eine Veränderung im Bewusstsein erkannt werden, nicht durch eine andere Landkarte, Theorie oder durch andere Worte.

Das harte Problem kehrt schließlich wieder in der Frage nach der tatsächlichen Relation zwischen Objekt und Subjekt, und diese Frage ergibt sich erst in der endgültigen Antwort in Satori. Wir könnten sagen, dass das, was in Satori „gesehen“ wird ist, dass Subjekt und Objekt nondual sind, aber das sind nur Worte, und wenn wir das so sagen, erzeugt das Absolute oder Nonduale nur Paradoxe, Antinomien und Widersprüche. Die Nonduale „Antwort“ zum harten Problem kann nur vom nondualen Zustand oder der nondualen Ebene des Bewusstseins selbst gesehen werden, was gewöhnlich Jahre kontemplativer Disziplin braucht, und deshalb keine „Antwort“ ist, die man in einem Buch finden kann – und deshalb wird es das harte Problem für diejenigen bleiben, die ihr eigenes Bewusstsein nicht transformieren.

Auf der relativen Ebene erfasst man die relative Lösung des Problems der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt am besten mit einer bestimmten Form des Panpsychismus, den man bei Plotinus, Leibnitz, Whitehead, Russell, David Chalmers und anderen findet.

David Chalmers schreibt in einem Artikel im Journal of Consciousness Studies, 1997:

  1. „Man wird zu dem Schluss genötigt, dass man keine reduktionistische Erklärung des Bewusstseins geben kann“. Das bedeutet, dass Bewusstsein (oder Erfahrung, oder Protoerfahrung, oder, wie ich technisch sage, Innerlichkeit [Interiority]) eine intrinsische, gegebene Komponente des Kosmos ist, und sie kann nicht vollständig abgeleitet werden von oder reduziert werden auf etwas anderes. Aus meiner Sicht ist das so, weil jedes Holon ein Innen und ein Außen hat (sowohl in der Ein wie auch in der Mehrzahl). Deshalb wird wahrscheinlich nur ein integrales Modell erfolgreich sein, das die fundamentale Bedeutung des Bewusstseins mit einschließt.
  2. „Vielleicht wird uns der beste Weg zu so einer integralen Sicht von Russelian gezeigt, der ein Bild entwirft, in dem (proto) Erfahrungs – Eigenschaften eine intrinsische (ursprüngliche) Natur der physischen Realität ausmachen. So ein Bild ist ganz natürlich mit irgendeiner Form von Panpsychismus verbunden.“ Wie ich sagen würde, ist die Idee einfach die, dass die Physik (und Naturwissenschaften als Ganzes) nur die objektiven, äußeren, extrinsischen Bestandteile der Holons eröffnen, deren intrinsische oder innere Bestandteile subjektiv und erfahrungsartig (oder proto-erfahrungsartig) sind. In anderen Worten: Alle Holons haben eine linksseitige und eine rechtsseitige Dimension.
  3. Wenn wir dieses Innen/Außen – Problem gelöst haben (mit einem modifizierten Panpsychismus, der nahe legt, dass alle Holons ein Innen und ein Außen haben), stehen wir dem nächsten Problem gegenüber. „Das Zweite ist das Problem, wie grundlegende Erfahrungs- oder Proto – Erfahrungsqualitäten auf mikroskopischem Niveau irgendwie zusammen die Art von komplexer vereinheitlichter Erfahrung konstituieren, die wir machen (Das ist eine Version dessen, was Seager das „Kombinationsproblem“ nennt). „...würden sich nicht diese kleinen Erfahrungen zu einem unregelmäßigen Durcheinander summieren?“ „ Das hinterlässt uns das Kombinationsproblem, welches sicher das härteste ist“.(Chalmer)

Aber dieses Kombinationsproblem ist bereits vor einiger Zeit von der Entwicklungspsychologie und der Whitehead´schen Prozessphilosophie gelöst worden. Im Kern geht das folgendermaßen vor sich: Mit jeder Entwicklungswelle wird das Subjekt der einen Stufe zu einem Objekt der nächsten (Robert Kegan), so dass jede Stufe eine zunehmende Vereinigung aller vorhergehenden Stufen ist. In Whiteheads berühmten Dictum: „Die Vielen werden eines und um eins vermehrt“. Dieser Prozess gibt uns, wenn wir ihn von innen her betrachten, in einer gesunden Entwicklung einen zusammenhängenden und einheitlichen Selbstsinn (der von der Empfindung zur Wahrnehmung zum Impuls zum Bild zum Symbol...und so die Wellen des Großen Nestes, (der großen Verschachtelung) aufsteigend, wo jede Welle ihre Vorgänger transzendiert und einschließt – oder sich darüber hinaus bewegt und umschließt, und solcherart die vielen Untereinheiten, die ihm vorausgingen, in eins zusammenfasst. Und so löst jede gesunde Welle das Kombinationsproblem erfolgreich. Dieser gleiche Prozess erscheint im Äußeren, z. B.: viele Atome bilden ein Molekül, viele Moleküle bilden eine Zelle, viele Zellen bilden ein Organ, viele Organe bilden einen Organismus, und so weiter.

Sowohl im Inneren wie auch im Äußeren ist das Resultat kein „unregelmäßiges Durcheinander“, weil jede Einheit in diesen Reihen tatsächlich ein Holon ist – ein Ganzes, das Teil von anderen Ganzen ist. Sowohl die Innenseiten wie auch die Außenseiten des Kosmos sind aus Holons zusammengesetzt (das heißt, alle Holons haben eine Innen – und eine Außenseite, in der Ein – und in der Mehrzahl). Deshalb ist das Kombinationsproblem in Wirklichkeit ein inhärenter Bestandteil von Holons in allen Bereichen. Alle vier Quadranten sind aus Ganzen / Teilen oder Holons zusammengesetzt, den ganzen Weg nach oben und nach unten, und weil jedes Holon bereits ein Ganzes / Teil ist, ist jedes existierende Holon eine bestehende Lösung für das Kombinationsproblem. Weit weg davon, dass Holons selten oder abnormal wären sind sie die fundamentalen Ingredientien der Wirklichkeit in allen Bereichen, und deshalb ist das Kombinationsproblem nicht so sehr ein Problem wie ein essentieller Bestandteil des Universums.

Schließlich möchte ich noch zu meinem früheren Punkt zurückkehren. Das harte Problem kann vielleicht am besten auf der relativen Ebene durch ein holonisches oder integrales Modell gelöst werden. Aber das bleibt trotzdem nur ein konzeptuelles Hilfsmittel auf der relativen Ebene. Du kannst das holonische Modell vollständig lernen und in Erinnerung behalten, und doch kannst du dein Bewusstsein erleben, wie es „hier drinnen“ wohnt, auf dieser Seite deines Gesichtes, und die Welt existiert „da draußen“, dualistisch. Dieser Dualismus wird am Ende überwunden, nicht durch ein Modell, gleichgültig wie „nondualistisch“ es sich nennen mag, sondern nur durch Satori, was eine direkte und radikale Realisation ist (oder Veränderung in der Bewusstseinsebene), und diese Veränderung kann durch kein Modell ausgelöst werden, sondern nur durch lange spirituelle Praxis. Die Mystiker sind sich einig: das harte Problem wird schließlich nur durch die Erleuchtung (auf)gelöst, oder die andauernde Realisierung der nondualen Welle.

Elemente eines integralen Weltbildes:

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